F. Rogger: Kinder, Krieg und Karriere

Cover
Titel
Kinder, Krieg und Karriere. Selbstbildnisse aus der Mitte des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Rogger, Franziska
Erschienen
Bern 2016: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
von
Anina Eigenmann

Dieses Buch präsentiert ein Panorama an Selbstbildnissen, die entstanden sind, als 27 unterschiedliche Akademikerinnen der Autorin Franziska Rogger ihr Leben erzählten. Die Porträtierten leben heute nicht mehr. Sie haben mit der Autorin vor über 20 Jahren gesprochen, als diese für ihr 1999 erschienenes Werk Der Doktorhut im Besenschrank die Biografien der ersten Berner Studentinnen erforschte. Im vorliegenden Buch macht Rogger diese Gespräche, die ihr damals als Grundlage dienten, der Öffentlichkeit zugänglich. Diesmal kommen vor allem die Frauen selbst zu Wort, während sich die Historikerin zurücknimmt und auf eine umfassende historische Kontextualisierung oder Analyse verzichtet.

Obwohl Kinder, der Zweite Weltkrieg und die Karriere in den Lebensläufen aller Frauen – wie der Titel ankündigt – zentrale Themen sind, ist die Vielfalt der erzählten Biografien augenfällig. In der Einleitung weist die Autorin bereits auf einige besonders interessante Punkte, Gemeinsamkeiten und Gegensätze hin. Eine Gruppierung der 27 Selbstbildnisse in mehrere Unterkapitel ermöglicht ebenfalls eine erste Orientierung über die Schwerpunkte, die sich in den Gesprächen ergaben.

Die erste Serie von Selbstbildnissen zeigt, dass die Wahl des Studienfachs entscheidend dafür war, wie die ersten Berner Studentinnen ihre Zeit an der Universität erlebten und welche beruflichen Möglichkeiten sich für sie danach ergaben; je nach Fach stiessen sie auf grössere oder kleiner Hindernisse. Geschlechtsspezifische Diskriminierungen während des Studiums waren eher selten oder wurden von den Frauen nicht als besonders störend empfunden. Rogger weist darauf hin, dass die Interviewpartnerinnen «die gesellschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten weit mehr gestört hätten als die geschlechtsspezifischen» – und zwar auch dann, wenn sie nicht selbst davon betroffen waren. So empfand die Ärztin Margrit Roost­Pauli (1917–2009) dieTatsache, dass ihr als Studentin in gynäkologischen Kursen jeweils ledige und deshalb stigmatisierte Schwangere vorgeführt wurden, als enorm stossend.

Grösseren Hindernissen begegneten die Akademikerinnen oft erst beim Einstieg in das Berufsleben. Die Theologin Dora Zulliger­Nydegger (1909–2002) etwa musste als Pfarrerin erfahren, dass eine ganze Reihe von Tätigkeiten, die eigentlich zu ihrem Beruf gehörten, verboten wurden. Allerdings liess sie sich kaum dadurch einschränken und setzte sich oft einfach über die Vorschriften hinweg. Die Germanistin Elli Kayas­Balsiger (1917–2009) wiederum konnte zwar ein Patent als Gymnasiallehrerin erwerben, hatte jedoch in Bern keine Chance auf eine vollwertige Festanstellung. Ungeachtet ihrer fachlichen Qualifikationen wurden ihre männlichen Kollegen bei Besetzungen vorgezogen. Die Juristin Marie Boehlen (1911–1999) hatte ebenfalls Schwierigkeiten bei der Stellensuche. Als sie sich bei einer Schweizer Botschaft als Sozialattaché bewarb, erhielt sie eine Absage mit der Begründung, Frauen könnten hier nur als Stenotypistinnen arbeiten, sie könne ja eine entsprechende Ausbildung nachholen. Sie wurde später Jugendanwältin, eine Stelle, welche die Verantwortlichen unbedingt mit einer Frau besetzen wollten.

«Doppelbelastungen aller Art», die sich aus der familiären Situation ergaben, sind ein weiteres Schwerpunktthema der Selbstbildnisse. Manche Frauen hielten ihre Ausbildung und ihren Beruf für unvereinbar mit der Mutterrolle. Die Germanistikprofessorin Maria Bindschedler (1920–2006) entschied sich ganz bewusst gegen Ehe und Kinder. Sie meinte rückblickend, dass ihr Leben wohl ganz anders verlaufen wäre, hätte sie ihre Jugendliebe geheiratet. Auch Ellen Judith Beer (1926–2004), Professorin für Kunstgeschichte, blieb ledig, empfand es aber als Bürde und Karrierehindernis, dass sie jahrzehntelang ihre kranke Mutter pflegte. Die meisten der porträtierten Akademikerinnen allerdings heirateten und bekamen Kinder. Explizit als «Doppelbelastung» stellen dies allerdings die wenigsten von ihnen dar.

Zur Belastungsprobe wurde in vielen Fällen eher die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Viele Akademikerinnen berichteten von Mangelerfahrungen, von Nahrungsmittelknappheit und vom Lernen und Arbeiten in ungeheizten Räumen. Zudem mussten viele von ihnen noch als Studentinnen oder Berufsanfängerinnen plötzlich sehr viel Verantwortung übernehmen und für ihre Kollegen einspringen, die zum Militärdienst eingezogen worden waren. Der Vorteil dieser Herausforderungen war, dass sich den Frauen dabei manchmal bisher ungeahnte Karrierechancen eröffneten.

Mit Kinder, Krieg und Karriere ist der Autorin eine interessante, sogar unterhaltsame Quellensammlung gelungen. Für ein tieferes Verständnis und eine historische Kontextualisierung sind einige Vorkenntnisse notwendig, welche Rogger als gegeben voraussetzt und die sie teilweise in ihrem früheren Werk Der Doktorhut im Besenschrank erläutert hat. Als Kritikpunkt sei einzig die Handhabung der Interviewtexte genannt: Die Gespräche wurden in Dialekt geführt, anschliessend von der Autorin in Schriftsprache umformuliert und redigiert. Dennoch werden alle Selbstbildnisse – mit einer Ausnahme – in der ersten Person erzählt. Das führt an einigen Stellen zu etwas holprigen sprachlichen Formulierungen. Dieses Übersetzungsproblem ergibt sich allerdings immer bei solchen biografischen Interviews, und im Fall von Kinder, Krieg und Karriere hat es sich eindeutig gelohnt, zugunsten der Verständlichkeit einige sprachliche Kompromisse einzugehen.

Zitierweise:
Anina Eigenmann: Rezension zu: Rogger, Franziska: Kinder, Krieg und Karriere. Selbstbildnisse aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Bern: Stämpfli 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 3, 2018, S. 66-67.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 3, 2018, S. 66-67.

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